Oberstufenschüler diskutierten per Videoübertragung mit der hessischen Europaministerin Lucia Puttrich
Live aus dem Klassensaal nach Berlin
Am Ende, das war nach etwas mehr als eine Stunde, gab es Lob und Anerkennung von allen Seiten. Bis dahin waren rund zwanzig Oberstufenschüler des Bensheimer Goethe-Gymnasiums, Sechszehn- und Siebzehnjährige, Grundkurs Politik- und Wirtschaft, ein Jahr vor dem Abitur, in einem regen Dialog mit Landespolitikerin Lucia Puttrich (CDU).
Als Ministerin ist sie in Hessen verantwortlich für Bundes- und Europaangelegenheiten. Jetzt war sie in einer Video-Liveübertragung in einen Klassensaal im dritten Obergeschoss der Schule zugeschaltet. Die jungen Leute saßen an Tischgruppen, Puttrich weilte in der Bundeshauptstadt, die aktuelle Bundesratssitzung hatte sie dort hingeführt.
Schule einmal anders. Und vielleicht zukunftsweisend. Immerhin soll die Digitalisierung ausgebaut werden. Stichwort Digitalpakt, der war selbstredend im Gespräch zwischen Schülern und Ministerin Thema. Die Politikerin betonte dabei die Handlungsfreiheit der Länder, zunächst in der politischen Debatte ein Streitthema. Auch erklärte sie, dass nicht nur der Bund zahle, vielmehr fließe auch etliches Geld aus den Länderkassen in die Digitalisierung der Schulen.
Motorflieger und Marathon
Die Unterredung, Fragen und Antworten, war schnell in Schwung gekommen. Ein bisschen Privates von Frau Ministerin hatte darin auch Platz. Sie fliege gern, nicht Segel- sondern Motorflugzeug, zuletzt am vergangenen Wochenende. Und sie läuft Marathon. Der letzte liege allerdings lange zurück. Die Hoffnung, irgendwann nochmal auf die Langstrecke zu gehen, ist aber da.
Ihr Privatleben, das spüre sie am Feedback aus der Familie, habe sie mit der Politik gut unter einem Hut. Und darüber, dass sie es als Frau in der Politik vielleicht schwer haben könnte, habe sie nie nachgedacht. Sie ist ihren Weg gegangen. Unter anderem war Lucia Puttrich Bürgermeisterin in Nidda. Aus dieser Zeit kennt sie auch den Politik- und Wirtschaft-Lehrer der Bensheimer Schüler, Markus Göldner. Göldner war seinerzeit in Nidda als Sportwissenschaftler in einem städtischen Eigenbetrieb tätig.
Die jungen Leute waren gut vorbereitet. Dazu hatte ihnen den Unterricht in den Tagen und Wochen zuvor Zeit gegeben. In mehreren Doppelstunden hatten sie ihre Fragen formuliert und einen Zeitplan erstellt. Mit einem höchst passablen und umfangreichen Katalog waren sie in die Stunde gegangen. Die Ministerin gab bereitwillige Auskunft. Nicht nur über den Digitalpakt. Der Bogen war weit gespannt, wobei Puttrich anmerkte, dass vieles in ihren Antworten nur angerissen werden könne, zur Vertiefung fehlte an diesem Vormittag die Zeit. Der Brexit wurde thematisiert. Er könnte, so die Ministerin, künftig Schüleraustausche schwieriger machen. Und was lässt sich aus dem drohenden Austritt Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft für die Politik lernen, wollten die Schüler in Bensheim wissen. „Aufmerksam sein“, sagte Puttrich, die EU-Mitgliedsstaaten müssten einander besser verstehen lernen, mehr hinhören und erkennen, wie eigene Positionen vom Gegenüber aufgenommen werden.
Was waren noch Themen? Die Sitzverteilung im Bundesrat. Gerecht? Ungerecht? Sind kleine Länder zu stark vertreten? Nein, meinte die Politikerin, sie müssten schließlich auch ausreichend Stimme und Gewicht haben. Elektro-Roller waren ebenfalls Thema der Stunde. Für Puttrich sind sie ein Beitrag zur Mobilität der Gegenwart, eine gute Ergänzung. Und sie seien „eine umweltfreundliche Möglichkeit zur Fortbewegung.“
Wobei die Ministerin nicht ausblendete, dass es auch zu Konflikten mit anderen Verkehrsteilnehmern kommen kann. Dann ein Themensprung, gleichfalls vor dem Hintergrund der aktuellen Bundesratssitzung. Konversionstherapien. Ein Verbot wertet die Ministerin als Positionierung zur sexuellen Selbstbestimmung, „Menschen sind unterschiedlich“, betonte sie und appellierte an das Selbstverständnis für die Freiheit jedes einzelnen und an die Toleranz.
Puttrich gab in dem Gespräch Einblick in ihre Position in aktuellen Fragen der Politik. Und sie ermunterte die Schüler zu eigenem Engagement. Die „Fridays for Future“-Bewegung könne nachhaltig wirken, wenn es nicht nur bei Demonstrationen bleibe, sondern auch zu „tatsächlichem Engagement“ komme. „Von Fridays for Future dürften einige auch in der Politik landen“, merkte die Ministerin an. Sie selbst komme aus einer politischen Familie und habe durch persönliches Betroffensein, es ging damals um ein Jugendzentrum, später um Kinderbetreuung, den Weg zur politischen Arbeit gefunden, erzählte sie.
Ihr habe die Unterredung mit den Schülern Spaß gemacht, sage Lucia Puttrich kurz vor Schluss der Liveschaltung. Die Themenauswahl sei spannend gewesen, für sie sei es interessant zu hören, was junge Leute beschäftigt. Zufrieden zeigten sich auch Lehrer Göldner und Schulleiter Klaus Holl, der die Stunde mitverfolgte. Seitens der Jugendlichen kommentierten Anna Singer und Marvin Weiler, gemeinsam hatten sie das Gespräch moderiert, die Übertragung: „Das war echt interessant.“
© Bergsträßer Anzeiger, Samstag, 18.05.2019