Stolpersteine erinnern an jüdische Schicksale in Bensheim

Mehr als 100 000 Stolpersteine hat Gunter Demnig schon verlegt. Mit seinem Projekt will der 1947 in Berlin geborene Künstler „die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner/Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig erhalten“.

Vor deren letzten selbstgewählten Wohnort lässt er Gedenktafeln aus Messing in das Pflaster ein, erstmals – und damals zunächst ohne Genehmigung – im Jahr 1996 in Berlin-Kreuzberg. Es dauerte noch einige Jahre, bis die Idee in deutschen Gemeinden wohlwollend aufgenommen wurde. Inzwischen gibt es nicht nur in Deutschland, sondern in 27 Ländern Europas Stolpersteine, unterschiedlich finanziert und behördlich genehmigt.

Dank an Peter E. Kalb

In Bensheim sind am Dienstag zu den bereits verlegten 29 weitere 20 hinzugekommen. Vom Künstler persönlich verlegt, erinnern sie an das Schicksal dreier Familien, die einst an der Darmstädter Straße in Bensheim lebten. Bürgermeisterin Christine Klein dankte Peter E. Kalb, Vorsitzender der Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger, für sein Engagement als Mahner und Wächter und maßgeblichen Organisator des Stolpersteinprojekts in Bensheim.

Die Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger zeichnet für die Verlegung der Stolpersteine vor der Darmstädter Straße 85 (Familie Rosenstein) verantwortlich. Klein dankte auch den Schülern des Goethe-Gymnasiums, die im Rahmen eines Projekts zur Jubiläumsfeier ihrer Schule die Stolpersteine vor den Häusern in der Darmstädter Straße 61 (Familie Bendheim) und 35 (Familie Moos) organisiert und finanziert haben.

Peter E. Kalb erinnerte daran, dass die Bensheimer Stadtverordnetenversammlung sehr früh und als erste Kommune im Kreis den Magistrat mit einem Stolpersteinprojekt beauftragt habe. Es habe damals sogar einen parteiübergreifenden Arbeitskreis „Erinnern“ gegeben. Auf der Grundlage seiner persönlichen Bekanntschaft mit Jerry Rosenstein, der als Kind in der Darmstädter Straße 85 lebte und bis zu seinem Tod häufig zu Gedenkveranstaltungen in seine ehemalige Heimatstadt kam, schilderte Peter E. Kalb das Schicksal der jüdischen Familie, die schon früh Schikanierungen wie eingeworfene Fenster, Brandstiftung und körperliche Gewalt von ihren Mitbürgern und Bekannten erdulden musste.

1936 flohen Vater Max, die Mutter Sophie (geborene Bendheim) und die Kinder Hans, Ernst und Gerald (Jerry) nach Holland. Doch gerieten sie letztendlich damit in eine Falle ohne Ausweg. Während Bruder Hans von den Nationalsozialisten ermordet wurde und Bruder Ernst als englischer Soldat noch im Krieg fiel, konnten Jerry und seine Eltern jedoch die Konzentrationslager überleben und 1946 nach Amerika emigrieren.

Unter anderem mehrere Anwohner, Vertreter des Synagogenvereins und der Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger sowie Schüler eines Geschichtskurses des AKG, die gerade das Thema Holocaust im Unterricht behandeln, waren Zeugen von Gunter Demnigs Installierung und der anschließenden Niederlegung von weißen Rosen. Das Schicksal der Familie Rosenstein ist auch in einem kleinen, im Diogenes Verlag erschienenen Buch von Friedrich Dönhoff nachzulesen, der Jerry Rosenberg vor einigen Jahren bei einer seiner Reisen durch Europa bis nach Bensheim begleitet hat.

Erkennbar persönlich berührt erinnerten Schülerinnen und Schüler des Goethe-Gymnasiums an Schülerinnen, die ihre Schule einst besucht hatten und unter der Verfolgung durch die Nationalsozialisten leiden mussten. In einem Projekt zum im nächsten Jahr anstehenden 150-jährigen Jubiläum des Goethe-Gymnasiums wurden deren Biografien von einem Geschichtskurs recherchiert – bis hin zur Kontaktaufnahme mit den Nachkommen.

Finanziert von der Schulgemeinde

Für alle diese ehemaligen Schülerinnen und ihre Familien finanziert die gesamte Schulgemeinde Stolpersteine, die in diesem und im nächsten Jahr nicht nur in Bensheim, sondern auch in Lampertheim, Bürstadt und Lorsch verlegt werden.

Vor der Darmstädter Straße 61 wird nun an die Familie Bendheim erinnert: Zacharias Bendheim wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Seine evangelische Frau Hildegard überlebte in Bensheim. Zacharias Bendheims Tochter aus erster Ehe Alice wurde mit Mann und Kindern in Sobibor und Auschwitz ermordet, ihrer Schwester Gertrud gelang die Flucht in die USA, wo sie eine Familie gründete. Bruder Reinhard Bendheim wurde zunächst nach Dachau deportiert, konnte 1939 aber nach Shanghai fliehen und kehrte 1950 nach Deutschland zurück.

In der Darmstädter Straße 31 lebte die ehemalige Schülerin Carry Moos mit ihrer Familie. Sie war 1936 schon verheiratet und floh nach Frankreich, wohin ihr der jüngere Bruder Emil folgte, und schließlich nach Montevideo. Ihr Vater Dominik war Vorstand der jüdischen Gemeinde in Bensheim. Ebenso wie seine Ehefrau Eva wurde er interniert, konnte aber schließlich ebenfalls nach Uruguay emigrieren.