"Ich sollte nicht leben. But you are part of my personal healing..."
Zum Tod von Leslie Schwartz (* 12. Januar 1930 in Baktalórántháza; Ungarn; † 12. Mai 2020 in Miami, USA)
„Ich sollte nicht leben. But you are part of my personal healing and I’m so grateful to be here.“ Mit diesen Worten eröffnete Leslie Schwartz viele seiner Vorträge, auch bei uns am Goethe für den Jahrgang 9. Nun verabschieden wir uns von Leslie Schwartz, der am 12. Mai 2020 in Miami im Alter von 90 Jahren verstorben ist.
Leslie Schwartz war mehrfach an unserer zu Gast, um über sein Leben und sein Überleben zu berichten. Geboren wurde er als Laszlo Schwartz in Baktalórántháza in Ungarn - „my Kuhdorf“, wie er immer sagte. Von dort wurde die Familie 1944 nach Auschwitz deportiert. Bei der Selektion an der Rampe in Birkenau sah er seine Mutter, seinen Stiefvater und seine beiden kleinen Schwestern zum letzten Mal - sie wurden direkt nach der Selektion in den Gaskammern von Birkenau ermordet.
Laszlo Schwartz überstand die Selektion und kam in den berüchtigten „Kinderblock“ von Josef Mengele. Sehr schnell verstand er, welches Schicksal die Kinder dort erwartete und es gelang ihm, sich mit seinem Freund in einen Transport nach Dachau zu schmuggeln. Dort bekam er von Mithäftlingen den Spitznamen „Lazarus“, weil er wie dieser von den Toten auferstanden, d.h. aus Auschwitz herausgekommen war. Vom KZ Dachau wurde er in verschiedene Außenlager in der Region um München verlegt, wo er auf Baustellen Schwerstarbeit verrichten musste: „I was schlepping Zement, bis ich nicht mehr konnte“.
Als die US Army im Frühjahr 1945 Bayern besetzte und sich München näherte, war er Häftling im KZ-Außenlager Mühldorf. Die SS trieb 3000 Häftlinge zusammen und pferchte sie ohne Nahrung in einen Zug, der tagelang durch Ostbayern fuhr. In der Nähe von Poing floh die Bewachung des Zuges, nachdem sie die Türen der Waggons geöffnet und den Häftlingen gesagt hatten sie seien nun frei, der Krieg sei vorbei. Die ausgehungerten und durstigen Menschen, unter ihnen der nun 15jährige Laszlo, baten in den umliegenden Bauernhöfen um Nahrung und Wasser. Aber dann begannen deutsche Soldaten und Hitlerjungen eine Hetzjagd auf die Häftlinge, bei der viele erschossen oder verletzt wurden. Auch Laszlo Schwartz wurde angeschossen und schwer verwundet mit den anderen Häftlingen, den Toten und Verwundeten, wieder in den Waggons eingesperrt. Tage später wurden sie schließlich von der US-Armee befreit.
Ein Verwandter holte den Jungen zu sich in die USA, von seiner Familie in Ungarn hatte niemand den Holocaust überlebt. In den USA begann er ein neues Leben und änderte seinen Vornamen in „Leslie“. In den 70er Jahren reiste er wieder nach Deutschland, um die Menschen zu suchen, die ihm in seiner Zeit als KZ-Häftling das Leben gerettet hatten oder einfach freundlich zu ihm waren - eine Frau, die ihm aus Mitleid regelmäßig Brot zugesteckt hatte, die Bäuerin in Poing, die ihm Milch und Essen gegeben hatte. Sie, und ihre Menschlichkeit, hatte er im Sinn, wenn er sagte: „Love is stronger than hate“ - das war seine Überzeugung, das sagte er auf jedem Vortrag.
Leslie Schwartz lebte später mit seiner zweiten Frau Annette abwechselnd in Münster und New York und hielt trotz seines hohen Alters unermüdlich Vorträge in Schulen, an Universitäten, in Städten. Das Land, das ihn einst ermorden wollte und seine Familie ausgelöscht hat, ehrte ihn mit dem Bundesverdienstkreuz - diese Ehrung hat ihn sehr stolz gemacht.
Bei allem Ernst angesichts seiner dramatischen Geschichte war Leslie Schwartz immer auch lustig und offen, und auch das hat ihm die Herzen der Schüler zufliegen lassen. Diese Erfahrung hat er sehr genossen, bei den Gesprächen mit den Jugendlichen NACH dem offiziellen Teil war er immer gelöst und freute sich darüber, mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen und ihr Interesse an seinem Leben zu spüren.
Wir sind dankbar, dass Leslie Schwartz unser Gast war und dass wir ihm zuhören konnten. Seine Erlebnisse haben viele Schüler*innen bewegt und zum Nachdenken gebracht. Er konnte Jugendliche auf eine gute Art für sich ein- und in seine Lebensgeschichte mitnehmen. "Love is stronger than hate" - Leslie Schwartz wird uns fehlen.
Schülerkommentare aus dem Jahr 2015:
"Ich fand das Zeitzeugengespräch sehr beeindruckend. Meiner Meinung nach ist Leslie Schwartz ein sehr starker Mensch und ich finde es unglaublich, wie er davon erzählen kann, was er erlebt hat und dass er seinen Humor und seine Lebensfreude nicht verloren hat. Ich finde, dass er als gutes Vorbild fungiert, weil seine Geschichte natürlich sehr emotional ist und es bestimmt schwierig ist, über so etwas zu berichten und weil er an uns als Menschen von morgen appelliert hat. (…) Ich finde das sehr bewundernswert und ich bin sehr glücklich darüber, dass wir die Möglichkeit hatten, ihn zu sehen und zu hören.
Deswegen habe ich mich im Buch bei ihm bedankt, für alles, einfach schon dafür, dass er zu uns gekommen ist -vielleicht nicht vergeben kann, aber uns nicht die Schuld gibt und trotzdem irgendwie verstanden hat, was das Leben ausmacht."
"Persönlich finde ich, dass das Gespräch mit Leslie Schwartz eine unbezahlbare Erfahrung war. Man hatte einen guten Eindruck von der damaligen Zeit und es war sehr emotional. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was es für eine gute Erfahrung war. Er ist ein sehr sympathischer Mensch und ich finde es toll, wie er über seine vergangene Zeit reden kann. Außerdem finde ich, dass es wichtig ist mit den Jugendlichen die Zeit zu teilen, damit so etwas nicht wieder vorkommt."