Gregor Gysi sprach am Montagnachmittag über die DDR, die deutsche Einheit und aktuelle politische Entwicklungen
Politiker mit Witz und lockeren Sprüchen
Er zählt ohne Zweifel zu den bekanntesten Gesichtern der Linkspartei – auch wenn er vor vier Jahren den Fraktionsvorsitz abgegeben hat und nur noch als „normaler“ Abgeordneter im Bundestag sitzt: Gregor Gysi. In TV-Talkshows ist der wortgewandte Politiker nach wie vor ein gern gesehener Gast.
Am Montagnachmittag fühlten nicht Talkmaster wie Anne Will oder Frank Plasberg dem Politiker auf den Zahn, sondern Schüler des Goethe-Gymnasiums. Zwischen zwei Terminen in Berlin und Frankfurt nahm Gysi sich fast zwei Stunden Zeit, um in der voll besetzten Mensa vor Oberstufenschülern Fragen zur Wende und der deutschen Wiedervereinigung zu beantworten, aber auch zu aktuellen politischen Entwicklungen Stellung zu beziehen. Schulleiter Jürgen Mescher begrüßte Gysi als „Zeitzeugen“.
Moderation (Moritz Bischof) und drei Fragerunden wurden von Schülern der Leistungskurse Geschichte sowie Politik und Wirtschaft der Jahrgangsstufe Q3 übernommen. Sie meisterten ihren Job souverän – auch wenn schon nach der einleitenden Rede des Gastes klar war, dass das Zeitmanagement ein Problem werden könnte. „Ich habe zu lang gesprochen, weil ich die Fragen gefürchtet habe“, meinte Gysi augenzwinkernd.
Zum Auftakt sollte der 71-Jährige zum Thema „Traumberuf Politiker?“ sprechen – die vorgesehen zehn Minuten überschritt er locker, machte aber gleichzeitig deutlich, warum er in TV-Runden ein so beliebter Gast ist: Verständlich, unterhaltsam, mit Witz, lockeren Sprüchen und manchmal mit Selbstironie – so spricht Gregor Gysi auch über trockene Themen. Eine Gabe, die nicht jedem Politiker in die Wiege gelegt ist.
„Immer ein Amt auf Zeit“
Rechtsanwalt, Moderator, Autor, Hochschulprofessor – und eben Politiker. Gysi betonte, dass er nicht nur einem Job nachgeht. „Politiker ist kein Beruf, den man erlernen kann – und es ist immer ein Amt auf Zeit“. Im Bundestag stellen Beamte eine sehr große Gruppe – „das prägt etwas die Atmosphäre“. Der Grund: Es sind laut Gysi die einzigen, die einen gesetzlichen Anspruch darauf haben, nach ihrer Zeit als Abgeordnete wieder in ihren alten Beruf zurückzukehren.
Die eigentliche Arbeit der Politiker finde nicht im Plenum statt („das ist für die Fernsehzuschauer“), sondern in Ausschuss- und Fraktionssitzungen und im Wahlkreis selbst. Gysi sitzt für Berlin-Treptow-Köpenick im Bundestag. In der Opposition, so Gysi, habe man die Möglichkeit – auch durch öffentliche Auftritte – Einfluss auf den Zeitgeist zu nehmen, die Akzeptanz für bestimmte Themen zu erhöhen. Er sei der Erste gewesen, der auf einer Bundespressekonferenz die Einführung eines Mindestlohns gefordert habe. Er hätte er niemals geglaubt, dass eines Tages selbst die CSU zustimmen würde. Der Zeitgeist habe sich über die Jahrzehnte verändert.
Die Zeit der großen Volksparteien hält Gysi für beendet. Kanzler auf Dauer wie Kohl oder Merkel werde es künftig nicht mehr geben, ist sich der Linkspolitiker sicher. Der weltweite Rechtsruck, der Trend zu nationalem Egoismus sieht er vor allem darin begründet, dass die Welt zu unübersichtlich geworden sei. Protestwähler würden heute die AfD wählen, um den etablierten Parteien eins auszuwischen. Die Linke sei mittlerweile keine Protestpartei mehr – „auch wenn wir’s gerne wären“.
Die Ablehnung der etablierten Parteien habe einerseits mit der Sprache in der Politik zu tun – sie sei nicht verständlich („Meine Stärke im Bundestag ist die Übersetzung“). Andererseits müssten sich auch die Argumente ändern. Der Jurist plädiert für eine direkte Bürgermitsprache bei politischen Entscheidungen. „Demokratie braucht Bürger, die auch selbst mitgestalten.“
Die Jugend ist Gysi heute nicht mehr rebellisch genug. Lobende Worte hatte er aber für die „Fridays for Future“-Bewegung. Hier werde ein Generationenkonflikt deutlich. „Greta ist ein bisschen besonders, aber das war Jeanne d’Arc auch.“