Rapper und Filmemacher Sékou Neblett diskutierte mit Schülern über Medienkompetenz

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum

Informationen müssen nicht zwangsläufig stimmen. Sie müssen nur geglaubt werden. Mit 77 000 Stimmen hat Donald Trump die US-Präsidenten-Wahl gewonnen, obwohl er insgesamt fast drei Millionen Stimmen weniger hatte als seine Konkurrentin Hillary Clinton. Ein Zufall?

Trump hatte über sechs Millionen Dollar an die Datenfirma Cambridge Analytica gezahlt mit dem Ziel, unentschlossene Wähler zu identifizieren, die für ihn stimmen könnten – und sie dann gezielt zu beeinflussen. Der Plan ging auf. Cambridge Analytica setzte „Datenmodellierung“ ein. Zentral waren dafür die Facebook-Daten von rund 50 Millionen Nutzern. Die Aktion zeigt, wie schnell Informationen – und Desinformation – im Internet verbreitet werden.

Einflüsse von „fake news“

Das Ende der Demokratie mit digitalen Mitteln? Zumindest eine Gefährdung, sagt der Musiker, Verleger und Filmemacher Sékou Neblett. Im Goethe-Gymnasium diskutierte der Rapper jetzt mit Schülern der Jahrgangsstufe sieben über mediale Kompetenz, digitale Verantwortung und die Einflüsse von „fake news“ im weltweiten Netz. Ermöglicht hatte die dialogische Veranstaltung Ulli Walther, Studienrat für Deutsch und Englisch und Leiter der schulischen AG Digitale Helden. Ein Mentorenprogramm, bei dem jugendliche Schüler zu Mentoren in der digitalen Welt ausgebildet werden, um jüngeren bei Fragen und Problemen in der digitalen Welt zu unterstützen. Seit kurzem ist ein solches Projekt auch am Goethe aktiv.

Unter anderem geht es dabei um Themen wie Cyber-Mobbing und Datenschutz, um Kommunikationsregeln und einen allgemein bewussten Umgang mit dem Internet und den sozialen Netzwerken. Das Modellprojekt „Heldenpartner – für ein starkes Netz im digitalen Notfall“ soll Pädagogen dazu befähigen, digitale Konflikte zu erkennen, zu bewerten und zu lösen.

Im Schuljahr 2019/20 sind 162 Schulen im Digitale-Helden-Mentorenprogramm aktiv. 100 davon allein in Hessen. Sitz der gemeinnützigen GmbH ist Frankfurt. Sékou Neblett kam 1993 als Student aus den USA nach Deutschland. In Freiburg gründet er die Band „The Phlow“. Der Stuttgarter Musiker Max Herre entdeckt ihn und holt ihn zur Hip-Hop-Formation Freundeskreis. Nach einigen erfolgreichen Jahren mit dem Freundeskreis beginnt Neblett wieder zu studieren – diesmal Film.

Ausflug in die Vergangenheit

Nebenbei schreibt er Songs für Yvonne Catterfeld, Joy Denalane und Cassandra Steen, die er auch managt. Mit seinem Film „Blacktapes“, eine fiktionale Dokumentation (Mockumentary) hatte er 2015 ein viel beachtetes Debüt vorgestellt. Ein Mix aus historischem Subtext und erfundener Story.

Auch die Veranstaltung in der Goethe-Mensa beginnt mit einem Ausflug in die Vergangenheit. Neblett skizziert die Kulturgeschichte sogenannter Memes: kleiner mediale Inhalte zumeist satirischer, humoristischer oder gesellschaftskritischen Aussagen, sich im Netz schnell verbreiten und in einigen Fällen weitermodifiziert oder mit anderen Inhalten kombiniert werden.

Durch ihre virale Verbreitung in der digitalen Welt werden Memes auch als Internetphänomen beschrieben. Sie gelten als Einheit für kulturell vererbbare Informationen, erklärt der Erfinder des Begriffs, der Evolutionsbiologe Richard Dawkins in seinem Buch „Das egoistische Gen“. Eine Idee, die sich von Mensch zu Mensch fortpflanzt.

Während viele Memes lediglich der einfachen und schnellen Unterhaltung dienen, gibt es auch politische Exemplare, die einen direkten Bezug auf das aktuelle Zeitgeschehen aufweisen und dabei eine klare Haltung einnehmen. Opfer von Memes werden durch Inhalte verspottet oder kritisiert.

Sékou Neblett verdeutlichte, dass auch Rassisten und Rechtsextreme durch Memes ihre Botschaften verbreiten. Einige Bensheimer Schüler haben mit solchen Fällen bereits Erfahrungen gemacht beziehungsweise sind mit solchen im Netz kollidiert.

Kritischer Umgang

Statt Memes grundsätzlich zu verdammen (die meisten sind spaßig), plädierte der Gast für einen bewussten und kritischen Umgang. „Im Internet gibt es keine Filter wie bei anderen, beispielsweise journalistischen Beiträgen“, so der Filmemacher. Daher habe jeder Einzelne, der sich im Netz bewegt, eine Verantwortung für das, was er teilt oder weiter verbreitet. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum – auch, wenn die Anonymität im Web diese Annahme nahe lege.

Menschenfeindlichen Humor und die Propagierung von politischer Gewalt finden im 21. Jahrhundert auf einer anderen Ebene statt, so der Musiker. So kann aus einem vermeintlich harmlosen Insiderwitz, den nur eine kleine Gruppe einordnen kann, schnell ein Gefühl von Gemeinschaft wachsen. Durch ihre scheinbare Harmlosigkeit eignen sich Memes für die Verbreitung von rassistischen und faschistischen Ideen im ganzen Netz. Als politisches Werkzeug mit beachtlichem Einfluss.

Fake News, Online-Manipulation und Cyber-Mobbing: Die Themen im Goethe-Gymnasium wurden nicht in einem banalen Frontalunterricht präsentiert, sondern im lebendigen Gespräch diskutiert. Die Schüler konnten eigene Erfahrungen teilen und darüber sprechen. Zwei vitale und lehrreiche Schulstunden für die siebten Klassen mit einem „Lehrer“, der einen komplexen Sachverhalt ebenso fachkundig wie unterhaltsam vermittelt hat.

© Bergsträßer Anzeiger, Montag, 27.01.2020