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Goethe-Schüler diskutierten online mit den Europaabgeordneten Michael Gahler

GGB VK Gahler 0620Acht Uhr früh. Fünfunddreißig Schülerinnen und Schüler des Goethe-Gymnasiums aus Klasse 9 und der E-Phase haben einen dringenden Termin in Brüssel - online, um mit dem Europaabgeordneten Michael Gahler über aktuelle Fragen der europäischen Politik zu diskutieren. Im PoWi-Unterricht von Heinz Löffler hatten sich die Neuntklässler mit Geschichte und jüngsten Herausforderungen der Europäischen Union auseinandergesetzt. Dabei wurde die Idee geboren, einmal einen Europa-Abgeordneten zum Unterricht einzuladen, da man sich dazu ohnehin schon immer virtuell auf „Teams“ trifft. Michael Gahler, der schon mehrfach zu Podiumsdiskussionen am Goethe war, sagte auf Anfrage der Schüler sofort zu. Paula Lamb, Malte Schröter, Julian Tschierschwitz und Oskar Reinmuth aus der Klasse 9e übernahmen die Moderation und wurden von Thomas Jurisch aus der E-Phase unterstützt.

Brexit, Polen und Ungarn

„Wird der Austritt Groß-Britanniens aus der EU verschoben?“, will Paul gleich als Erstes wissen. Gahler weist diplomatisch daraufhin, dass man den Briten zwar schon immer entgegengekommen sei. Man befürchte aber, dass Boris Johnson einen „harten Brexit“ anstrebe, um dessen möglicherweise katastrophales Ergebnis dann auf die Corona-Krise zu schieben.

Vom britischen Premier Johnson kommt die Rede auf die Regierungen in Polen und Ungarn und deren problematische Haltungen zur Rechtsstaatlichkeit. Julian hatte sich damit besonders beschäftigt und will wissen, welche Antworten die EU auf solche Verhaltensweisen parat habe. Schließlich werde in Ungarn die Freiheit der Wissenschaft und das Engagement von Nichtregierungsorganisationen massiv eingeschränkt und in Polen versuche man, die Unabhängigkeit der Gerichte einzuschränken. Gahler räumt ein, dass es für die EU schwierig sei, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, da sich diese beiden Länder gegenseitig unterstützten, um genau das zu verhindern. Die beste Lösung wäre, so Gahler, wie das Beispiel Italien mit der politischen Niederlage von Matteo Salvini zeige, eine demokratische Ablösung solcher Parteien von der Regierung. Aber es gebe bereits Hoffnung, denn Polen beuge sich den Urteilen des EuGH, und bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen könne der Kandidat der Opposition gewinnen.

EU in der Corona-Krise

„Die schnellen Grenzschließungen zwischen den Staaten der EU zu Beginn der Corona-Krise waren doch ein Eingriff in die Kompetenzen von Brüssel“, merkt Malte an. Dieser Aussage muss Gahler zwar zustimmen, gibt aber zu bedenken, dass die Maßnahmen bei den Bürgern der EU zu Protesten und „Gefühlen der Diskriminierung“ geführt hätten. Die luxemburgische Grenze z. B. war geschlossen, aber Niederländer und Deutschen durften trotzdem passieren. Hier könne man nur an mehr Zusammenarbeit appellieren und das politische Zusammenwachsen der EU fördern, meint der Abgeordnete. Dies ist das Stichwort für die Überleitung zu den „Corona-Bonds“. Wie Gahler zu dieser Art der Finanzierung stehe? „Dies ist jetzt meine parteipolitische Sicht“, schränkt Gahler ein, „denn als Christdemokrat lehne ich diese Gemeinschaftshaftung ohne Verantwortung der Einzelstaaten ab.“ Thomas verweist auf die „Sparsamen Vier“, womit Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark gemeint sind, welche Hilfen nur als Kredite vergeben wollen. „Auch diese Staaten werden voraussichtlich einlenken“, prophezeit der Abgeordnete, „denn ohne eine Erholung in der gesamten EU leiden alle Volkswirtschaften.“

Vereinigte Staaten von Europa?

Die langfristigen Ziele der EU, wie Klimaneutralität und die „Vereinigten Staaten von Europa“, thematisierten Paula und Oskar. Dass die EU bis 2050 über 100 Mrd. Euro in den Klimaschutz investiere, lobt Gahler als „sehr ambitioniert“, das zeige doch, dass es um zukunftsorientierte Politik gehe. Die Vision von den „Vereinigten Staaten von Europa“ beurteilt er dagegen skeptisch. Kleinere Staaten und Regionen kämen sich in einem „großen Europa“ leicht verloren vor. Auch die regionalen Identitäten sprächen gegen einen Zentralstaat. Es werde aber eine starke Zentrale in Brüssel gebraucht, die die Koordination von Gemeinschaftsaktivitäten übernehmen könne.

Am Ende spricht Oskar die Erweiterungen der EU auf dem Balkan an und die Auseinandersetzungen zwischen Griechenland und Mazedonien im Zusammenhang. Nach Gahler Zukunftsmusik: Er erinnert an die achtjährigen Beitrittsverhandlungen mit Kroatien. „Die EU ist sehr komplex und deshalb brauchen wir dafür einige Zeit.“

„Cool, so eine direkte Verbindung zur echten Politik und die Teilnahme verschiedener Schülerjahrgänge“, war die einhellige Meinung im Auditorium, nachdem Michael Gahler sich verabschiedet hatte. „Wenn wir die Probleme auf der Welt sehen, dann können wir von Glück sagen, in der Europäischen Union zu leben“, war ein weiteres Schülerfazit.